Samstag, 29. Juni 2013

Henri Quatre Colloquium - Jeanne



Liebe Colloquianer;
Immer wieder hatte ich vor, dies Projekt der Heinrich Mann Lektüre im Blog etwas anzuschieben, doch der Alltag geriet zu betriebsam, so dass ich erst jetzt zum Stichtag aufmuntere: Nur zu! Melden Sie sich mit Ihren Einrücken und Gedanken und setzen Sie den Austausch in Bewegung.


Jeanne d'Albret
Mit dem Kapitel "Jeanne" sehen wir, wie Henris Mutter darum kämpft, die Geschicke ihres Sohnes und ihrer Glaubensgenossen zu sichern, eigentlich zu retten. Über dem ganzen Kapitel schwebt das Verhängnis, geschmiedet von Katharina von Medici und dem sinistren Herzog von Alba. Das ereilt Jeanne am Ende - doch bleibt es noch offen, ob sie ihrem Leiden erlag oder gemeuchelt wurde.

Katharina von Medici waltet weiter gemäß ihren Plänen. Sie hat einen langen Atem und verfügt über alle Methoden, angefangen bei süßen Einflüsterungen. Trotz ihrer Zusicherungen wissen die Hugenotten um die Gefahr, von der sie umgeben sind. Hier ist eine Passage zum hugenottischen La Rochelle, der gefestigten Stadt an der Atlantikküste.
"Das ist viel, eine Stadt des Wohlwollens und der Sicherheit, wenn hinter uns ein ganzes Land des Hasses und der Verfolgungen liegt! Auf einmal fällt das Mißtrauen, die Vorsicht wird abgelegt, und dem entronnenen Menschen genügt fürs erste schon das allein, daß er frei ist und atmet. Alles sagen dürfen, was dich gequält und erbittert hatte, und andere sehn dich an und sprechen aus derselben Brust. Beisammen sein und nur wesen um sich haben, die man nicht verachten muß. Erlöse uns von dem Übel! Führ durch alle Gefahren die herbei, die ich liebe! Und jetzt sind sie da." 
(In: Die Festung am Ozean)

Dies ist wieder eine starke Stelle bei Heinrich Mann, wo ich sicher bin, dass sein eigenes Erleben und Empfinden hineingegossen sind. In den unsteten Zeiten der Religionskriege waren Tausende in diesem Zustand der Unsicherheit und des Gejagtwerdens. Wir haben es bis in die heutige Zeit nicht geschafft, der Menschlichkeit Raum zu geben und die Erde wohnlich zu gestalten. Gerade werden in Europa die Flüchtlingsrechte wieder eingeschränkt und in Übersee neue Flüchtlingsströme verletzter und verschreckter Menschen ausgelöst. Das Grundrecht, dass ein jeder Mensch Recht auf Leben und Unversehrtheit des Körpers hat und dass er unschuldig ist, bis vor ordentlichem Gericht das Gegenteil bewiesen wird hat in unserer Zeit, in der gezielte Tötung und robuste Intervention wieder salonfähig werden keine Geltung mehr.

Heute gab es eine lokale Nachricht, dass ein geistig verwirrter Mann mit Messer von einem Polizisten totgeschossen wurde. International wird berichtet dass die erwiesenermaßen unschuldig verschleppten und eingeschlossenen Personen in Guantanamo kaum Aussicht haben werden, frei zu kommen, und eine weitere Nachricht: dass Murat Kurnaz ohne Hilfe und Unterstützung durch die Zeit nach seiner Freilassung kommen musste. Und das ist nur ein winziger Ausschnitt aus unserer Zeit.

Prinz Heinrich von Navarra, von François Clouet
Was die Hugenotten betrifft und auch den guten König Heinrich, der im Kapitel "Jeanne" noch ein ungestümer Prinz ist, so kann man ihnen nicht nachsagen, dass sie der Gewalt abhold wären. Etwas euphemistisch spricht heinrich Mann dann auch die Grausamkeiten an, mit der Jeanne straft, wenn ihre Leute es an Gefolgstreue mangeln lassen. Henri reitet tollkühn in Kampfgetümmel und erklärt sich nicht einmal seine Beweggründe. Die Hugenotten unter Coligny sind bereit, ihre Sache mit dem Schwert auszufechten und Throne zu stürzen und Gegner zu vernichten. Nasty, nasty sagt der Engländer im Understatement.

Hier ist was Henris Freund, Agrippa d'Aubigné dazu sagt, und wir hören wieder Heinrich Mann selbst, da bin ich mir sicher:
"«In summa», sagte Agrippa d’Aubigné, während sie im Haufen ritten: «Du bist weiter nichts, Prinz, als was das gute Volk aus dir gemacht hat. Deswegen kannst du dennoch höher sein, denn das Geschaffene ist manchmal höher als der Künstler, weh aber dir, wenn du ein Tyrann würdest! Gegen einen offenkundigen Tyrannen haben sogar die unteren Beamten alles Recht von Gott.»
     «Agrippa», erwiderte Henri, «wenn du recht hast, bewerbe ich mich um eine untere Beamtenstelle. Nun sind dies aber Spitzfindigkeiten von Pastoren, und ein König bleibt ein König.»
     «Sei froh, daß du nur der Prinz von Navarra bist!»"
(In: Jesus)


Zeitrahmen  Kapitel "Jeanne", zitiert aus Wikipedia
"[Nach dem Ende des ersten Hugenottenkrieges 1563 führte Katharina ihren Sohn König Karl IX. auf einer großen Rundreise durch das ganze Reich. Der Herzog von Vendôme und Prinz von Navarra war immer dabei. Auf Schloss Empéri trat am 17. Oktober 1564 der Astrologe Nostradamus in Heinrichs Gemach und verkündete ihm angeblich, dass er eines Tages Frankreich und Navarra unter einer Krone vereinen werde, was bereits im 13. und 14. Jahrhundert unter Philipp IV. dem Schönen und seinen Söhnen der Fall war.]*
Im Mai 1566 endete die Reise, zu der im Januar Johanna von Albret gestoßen war. Ein Jahr später verließ sie mit ihrem Sohn den königlichen Hof. Er wurde Generalleutnant von Navarra und unternahm seine ersten Kriegszüge gegen die baskischen Edelleute. Neben dem Königreich Navarra gehörten ihm weitere Besitztümer: die Grafschaften Béarn, Foix, Bigorre, das Herzogtum d'Albret, die Grafschaften Limoges, Périgord, Armagnac, Fézenac, Rodez, Quatre-Vallées, Lomagne, das Herzogtum Vendôme, die Grafschaften Marle, La Fère, Soissons, die Herzogtümer Alençon und Beaumont.
1567 entbrannte der zweite Hugenottenkrieg mit einem Überfall des Fürsten Heinrich I. von Bourbon-Condé. Katharina wollte den 14-jährigen Heinrich als protestantisches Unterpfand wieder in ihrem Hofstaat zurück sehen, und er wurde nach der Weigerung seiner Mutter das Ziel von Entführungsversuchen. Der Krieg endete 1568, da aber beide Parteien ihre Truppen mobilisiert ließen, mündete er fast nahtlos in den dritten Hugenottenkrieg.
Im September 1568 machte Heinrich in La Rochelle Bekanntschaft mit seinem Onkel Ludwig von Bourbon-Condé, der ein Führer der protestantischen Armee war. Der 14-jährige begleitete ihn während der Feldzüge, die zuerst die zwei Fürsten des Hauses Condé und ab 1570 Gaspard II. von Coligny anführten.
Im August 1570 kam mit dem Frieden von Saint-Germain ein Friedensvertrag zwischen den Katholiken und den Hugenotten zustande. Am 9. Juni 1572 verstarb Johanna von Albret, wodurch aus Heinrich nun König Heinrich III. von Navarra wurde."
*[noch von Kapitel I]

In Diskussionen zum Buch kam der Gedanke beim Gesprächspartner auf, dass Heinrich Mann, nach seinem Erfolg mit der Verfilmung von Professor Unrat, mit der Möglichkeit rechnete, dass auch sein Henri Quatre verfilmt werden könnte, weswegen die Dialoge im Buch so zahlreich und plastisch erscheinen, beispielsweise. Der Einfluß vom aufkommenden Film auf den Stil des Romans - da hab ich auf die Schnelle keinen klugen Aufsatz finden können. Wenn man sich vor Augen führt, wie expressionistisch verzerrt (nicht negativ gemeint) Der blaue Engel die Romanvorlage verarbeitet, gehe ich eher noch von der umgekehrten Einflußnahme aus. Für mich wurzelt die Eindringlichkeit Heinrich Mannscher Beschreibungen in seiner Persönlichkeit und Biographie. Die Manns wuchsen in oppulenten bürgerlichen Zeiten auf und verfügten über eine profunde humanistische Ausbildung und Tradition.

Uffizien, Florenz
Ich bin mir sicher, dass Heinrich Mann mit jeder Epoche der europäischen Geschichte mit vielen Quellen vertraut war. Dazu ist verbürgt, daß er für diesen Roman lange und ausführliche Studien und Materialsichtungen verrichtete. Mir fällt immer wieder auf, wie er als Autor - ähnlich wie der junge Henri - vom schieren Leben hingerissen wird bis hin zur Unvernunft. Jetzt sollte ich eigentlich Stellen anführen. Etwas vage führe ich hier einfach den Umgang mit Jeanne an, deren Grausamkeit er fast wie ein Kavaliersdelikt behandelt - schlimm, schlimm, aber so war sie damals, die Gute. Dann wieder kommt zum Ausdruck, wie unbedingt Mann/Henri Grausamkeit verabscheuen und ablehnen.

Musée Condé
Verblendung und Verschleierung
Interessant ist das Kapitel: Ein Florentiner Teppich. Es geht um Jeanne und Margot, und Heinrich Mann deutet an, wie Margot einen besonderen sechsten Sinn für ihre Mutter, Katharina de Medici, hat und spürt, dass diese Unheil brütet, was sie fürchtet. Margot hat eine unbestimmte Regung der Menschlichkeit. Ihre Warnung an Jeanne, zu fliehen, kommt spontan und verfehlt ihre Wirkung. Sicherlich hätte die reife Katharina so eine Szene ganz anders gemeistert, vorbereitet und durchgeführt zu ihren Zielen. Dadurch bekommt Margot eine tragische Rolle bei Heinrich Mann, sie ist die Kassandra, die man hört, aber der man nicht glaubt.

Der Florentiner Teppich verkörpert einmal den Geist, der in Katharinas Louvre weht und ist Sinnbild für eine glanzvolle großzügige Façade, die kalte und festungsartige Mauern verbirgt. Darüberhinaus illustriert der florentiner Teppich auch die Verkommenheit, zu der es im Hof gekommen ist, ganz in der Tradition der Familie de Medici und ihres Rufes. Das Beispiel eines der florentinischen Teppiche, die das Hofleben unter Katharina de Medici in Frankreich illustrieren, habe ich die Szene mit dem Angriff auf den betürmten Elefanten gewählt, wie sie auch in der Propyläen Weltgeschichte ausgesucht worden war. Das war so eine Hofbelustigung in vollem Pomp. 

Das sind so meine laienhaften Gedanken. Was fiel Ihnen so auf und ein? Das hier ist kein akademisches Unterfangen, aber es ist doch gut, heute über Heinrich Mann und seinen Henri Quatre zu sprechen, oder nicht?

Übersetzung (von Helmut Bartuschek) der moralité am Ende von Kapitel II
"Seht, wie dieser junge Prinz sich schon auseinandersetzt mit den Gefahren des Lebens, die darin bestehen, daß man getötet wird oder verraten wird, die aber auch unter unseren Wünschen und sogar unter unseren großmütigen Träumen versteckt liegen. Wahrhaftig, es geht spielend durch alle Bedrohungen hindurch, ganz wie es dem Vorrecht seines Alters entspricht. Verliebt, wie er alle Naselang ist, weiß er noch nicht, daß einzig die Liebe ihn eine Freiheit verlieren läßt, die ihm der Haß vergebens streitig macht. Denn um ihn zu schützen vor dem Ränkespiel der Menschen und den Fallen, die ihm seine eigene Natur stellte, lebte zu der Zeit noch ein Wesen, das ihn liebte, bis es dafür sein Leben ließ, und dieses Wesen nannte er: «die Königin, meine Mutter»."
... und zum 1. August treffen wir uns wieder hier im Colloquium zu den nächsten zwei Kapiteln: "Der Louvre" und "Margot"

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen